PROGRAMM

Mittwoch:
Obwohl noch einige interessante Wettbewerbsfilme ausstehen, laufen die Spekulationen um den Gewinner des Goldenen Bären der 51. Internationalen Filmfestspiel in Berlin bereits auf Hochtouren. Und eines dürfte fast klar sein: Der deutsche Film wird dabei keine Rolle spielen.

Als heißeste Kandidaten gelten dagegen der US-Thriller „Traffic“ mit Michael Douglas in der Hauptrolle und der bisherige Überraschungsfilm, „J.S.A. - Joint Security Area“. Als einzige ernste Konkurrenz könnte nur noch „Finding Forrester“ in Frage kommen, der neue Film im dem schottischen Superstar Sean Connery. Der wird übrigens in Berlin erwartet – für 50000 Mark „Antrittsgeld“, wie vielerorts gemunkelt wird. An der Tatsache, dass (wie jedes Jahr) trotzdem über das Fehlen der großen Stars geklagt wird, ändert dies freilich auch nichts.

Dennoch darf die diesjährige Berlinale in einer ersten Zwischenbilanz als durchaus gelungen bezeichnet werden, insbesondere im Wettbewerb. Dort fiel eigentlich nur das japanische Drama „Chloe“ qualitativ negativ auf, doch so ein „Ausreisser“ gehört eben auch zu einem Festival. Für heiße Diskussionen sorgte der französische Wettbewerbsbeitrag „Intimacy“. Regisseur Patrice Chereau setzte die Geschichte einer verheirateten Ehefrau und deren Liebhaber extrem reißerisch um: Manche Szenen hatten die Grenze zur Pornographie deutlich überschritten. Man darf gespannt sein, wie der sonst durchaus sehenswerte Streifen – mit Marianne Faithfull in einer Nebenrolle – durch Kontrollorgane der Kinobranche kommen will.

Außerhalb des Wettbewerbes meldete sich Kevin Costner wieder zurück. Der Schauspieler und Macher von „Der mit dem Wolf tanzt“ spielt in „Thirteen Days“ den persönlichen Berater des amerikanischen Präsidenten in der Zeit der Kubakrise. Der realitätsnahe Krimi erinnert sehr an Costners ältere Werke wie „JKF“ oder “Die Unbestechlichen” und beweist wieder einmal: Als kluger Stratege und stiller Mann im Hintergrund zeigt der (ehemalige) Superstar Präsenz wie kaum ein anderer Schauspieler.

Montag/Dienstag:
Waren die ersten Tage der 51. Internationalen Berliner Filmfestspiele noch von Filmen mit starken Frauenrollen wie Juliette Binoche in "Chocolate" oder Monica Belucci in "Malena" geprägt, so stand zu Beginn der neuen Woche der politische Film im Vordergrund.

Während "13 Days" – ein Thriller aus der Zeit der Kubakrise mit Kevin Costner – noch gezeigt wird, setzte ein filmisches "Außenseiterleiterland" einen hohen Maßstab. Der südkoreanische Wettbewerbsbeitrag "J.S.A. (Joint Security Area)" wurde begeistert aufgenommen. Der Film (der erfolgreichste in Südkorea aller Zeiten) setzt ein schönes Zeichen für den Frieden zwischen Nord- und Südkorea. Wenn auch Regisseur Park Chan-Wook nicht ganz auf kleine propagandistische Anspielungen auf das ungeliebte Nachbarland verzichten kann, so zeichnet er die dort lebenden Menschen dennoch als sympathische Zeitgefährten. Und dass sich, wie im Film Grenzposten im Todesstreifen gegenseitig besuchen und anfreunden, deutet das Tauwetter zwischen beiden Staaten an. Da das fast zwei Stunden lange Werk auch noch technisch auf Hollywoodniveau erstellt wurde, eroberte "J.S.A." auch die Spitze der ewigen Kino-Bestenliste in Südkorea. In Deutschland wird man – wenn überhaupt – leider wohl auf die Fernsehauswertung warten müssen.

Wieder einmal bei der Berlinale vertreten ist Spike Lee mit seinem Drama "Bamboozled". Seine Geschichte über Rassenkonflikte in der TV-Branche ist sicher anständig gemacht. Doch der Regisseur Lee muss allmählich aufpassen, nicht endgültig in der Klischee-Schublade des radikalen schwarzen Widerstandsfilmes zu verschwinden. Das äußerst gewalttätige Ende seines neuen Streifens trägt da auf jeden Fall noch ein Stückchen dazu bei.

Nach einem äußerst mäßigen Verlauf dürfte das "Panorama" Montag in der Nachtvorstellung seinen absoluten Höhepunkt für 2001 erlebt haben. "Late Night Shopping", ein schottischer Beitrag mit Heike Makatsch in einer Nebenrolle, erntete verdienten stürmischen Applaus. Regie-Neuling Saul Metzstein schildert das triste Leben von vier Twens, die eigentlich nur zwischen ihrer Arbeit und einem Nachtcafe hin- und herpendeln. Doch als die Liebe ins Spiel kommt, wird die Sache turbulent. Das Werk zeigt wieder einmal die Stärken des britischen Filmes: Wohl kaum ein Produktionsland hat ein solches Gespür für kleine Geschichten aus dem vielbeschworenen "wahren Leben" – britischen Humor natürlich inbegriffen.

 

Freitag/Samstag:
Mit Spannung erwartet wurden die beiden großen Hollywoodproduktionen „Chocolate“ und „Quills“. Ersterer – immerhin als offizieller Wettbewerbsbeitrag – erfüllte diese. Mit einer wieder beeindruckenden Juliette Binoche („Der englische Patient“) in der Hauptrolle erzählt Lasse Hallström („Gilbert Grape“) die Geschichte der mystischen Vianne. Sie taucht 15 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs in einem französischen Kaff auf und sorgt dort für allerlei Unruhe im spießig-verschlafenen Alttag. Sorgt das selbstbewusste Auftreten der alleinerziehenden Mutter nur für Irritationen, so wirken die selbstgemachten Pralinen in ihrem Schokoladenparadies wahre Wunder. Während die (Neben)-Rolle von Johnny Depp von vielen Medien hochgepusht wird, überzeugt neben Binoche eine stille Frau der Branche: die Schwedin Lena Olin.

Zum Glück für die Verantwortlichen außerhalb des Wettbewerbes lief „Quills“, der fiktiv die letzten Tage im Leben des Marquis des Sade erzählt. Die Besetzung ist hervorragend, mit dem authentischen Oscarpreisträger Geoffrey Rush („Shine“) in der Titelrolle an der Spitze. Dennoch kam das blutrünstige Opus eher schlecht bei den Zuschauern an: Zuviel Gewalt und eine sehr düstere Handlung machte auch die Anwesenheit des Superstars Kate Winslett („Titanic“) nicht wett. Man darf gespannt sein, ob das Publikum im regulären Kinoprogramm auf den übertrieben harten Parforceritt mit den Emotionen einlässt. Einer würde diesen schon sehenswert machen: Michael Caine, den die meisten aus der Weihnachtsgeschichte der „Muppets“ kennen. In „Quills“ spielt er erschreckend glaubwürdig einen brutalen Nervenarzt, der den Untergang de Sades einleitet.

Der Publikumsliebling des ersten Wochenendes lief – wieder einmal - im Panorama-Rahmenprogramm. „Disco Pigs“ – wenig überraschend erneut eine Produktion aus Großbritannien – nimmt den Zuschauer auf einen emotionalen Horrortrip mit. An der Seite der beiden Jugendlichen „Pig“ und „Runt“ erlebt der Kinogänger einen brutalen Streifzug durch die Emotionen der 17-jährigen Jugendlichen. Selbst ein brutales Ende, das der Regieneuling Kirsten Sheridan allerdings aus dem 1995er-Berlinale-Erfolg „Butterfly Kiss“ geklaut hat, schränkte die Begeisterung der Zuschauer im altehrwürdigen Zoopalast nicht ein.

Donnerstag/Freitag:
Ließ der viel kritisierte Auftaktfilm „Duell – Enemy at the Gates“ noch eine schwache 51. Berlinale befürchten, so kam nun am Wochenende doch alles anders. Ein hochwertiges Wettbewerbsprogramm mit einem erneut herausragenden skandinavischen Dogma-Film ließ die nicht wenigen frühen Kritiker vorerst wieder verstummen. Ja, noch mehr: „Italienisch für Änfänger“ der Dänin Lone Scherfig gilt schon jetzt als einer der heißen Bären-Kandidaten.

Scherfig, die zuvor im europäischen Film kaum in Erscheinung trat, setzte mit ihrem humorvollen Film das fort, was sich vergangenes Jahr mit Soren-Kragh Jacobsens „Mifune“ andeutete. Das Dogma das cineastischen Minimalprinzips (keine künstliche Beleuchtung, keine Requisiten) ist kein abgehobener Kunstkniff von pseudokreativen Regisseuren, sondern nur eine Rückkehr zum Drehbuch. Und wenn die Handlung stimmt, dann ist ein Film auch ohne große technische Hilfe unterhaltsam. „Italienisch für Anfänger“ ist es auf jeden Fall, auch wenn die Geschichte rund um drei werdende Liebespaare in der dänischen Provinz fast schon zu schön endet. Doch träumen wird ja wohl noch erlaubt sein, im Dogma wurde es jedenfalls nicht verboten.

Überraschend positiv aufgenommen wurden die beiden italienischen Wettbewerbsbeiträge: „Le fate ignoranti“ (Regie: Ferzan Ozpetek)  und „Malena“. Beide Filme haben einen typisch italienischen Aspekt gemeinsam. Die Südländer schaffen es immer wieder, auch sehr traurige Bestandteile in einem Film mit einer gewissen Leichtigkeit zu präsentieren.

Chancen, im „großen Kino“ aufzutauchen, hat aber wohl nur „Malena“ mit einer atemberaubend schönen Monica Bellucci. Sie spielt die Titelfigur, die im zweiten Weltkrieg nach dem Tod ihres Mannes ihren Lebensunterhalt nur durch ihre körperlichen Reize bestreiten kann. Erzählt wird die bittere Geschichte aus der Sicht eines kleinen Jungen, der die langbeinige Schönheit vergöttert. Leider wird die Perspektive des Jungen zu sehr in den Mittelpunkt gerückt, so dass die Rolle der „Malena“ auf bloße körperliche Anwesenheit beschränkt ist. Regie führte in dieser Großproduktion (die in Deutschland von Concorde-Film vertrieben wird) Giuseppe Tornatore, der allerdings nicht ganz die Qualität liefert wie etwa in seinem oscargekrönten „Cinema Paradiso“.

Mittwoch/Donnerstag:
Gründlich daneben ging der Start der 51. Internationalen Filmfestspiele in Berlin. Dabei hatte vorher doch alles so vielversprechend ausgesehen: Bei seinem letzten Auftritt präsentierte Festivalleiter Moritz de Hadeln den teuersten Berlinalefilm aller Zeiten – „Duell – Enemy at the gates“ von Jean-Jaques Annaud. Das über zweistündige Epos kostete immerhin 95 Millionen Dollar, dürfte aber schon jetzt ein heißer Kandidat für den „Flop des Jahres“ sein.

Man muss wohl lange in der Historie des größten deutschen Filmfestes zurückblättern, um auf derart verheerende Urteile wie bei „Duell“ zu stoßen. Von „lachhaft“ bis „grottenschlecht“ reichte dabei die Palette. Dabei sollte man doch gerade in Deutschland stolz auf diesen Kriegsfilm sein, da er zu großen Teilen in den Babelsberger Studios produziert wurde. Doch Annaud, der mit „Der Name der Rose“ und „Sieben Jahre in Tibet“ schon durchaus beachtenswertes geschaffen hat, kann die hohen Erwartungen zu keiner Zeit erfüllen. Immer wieder erweckt sich dem Zuschauer der Eindruck, als habe der Franzose krampfhaft versucht, das Beste aus anderen Kriegsfilmklassikern wie „Die Brücke am Kwai“ oder  „Der Soldat James Ryan“ herauszuklauben. Wie so oft bei derartigen Vorhaben endet dies im bloßen Stückwerk, da helfen auch renommierte Schauspieler wie Jude Law und Ed Harris nichts mehr.

Immerhin schaffte es das amerikanische Kino am zweiten Wettbewerbstag, die Filmfans wieder zu versöhnen. „Traffic“, ein Thriller von Steven Soderbergh („Erin Brockovich“), kam besonders bei der Fachpresse gut an. Dies ist auch kein Wunder, setzt doch der Amerikaner seine Story rund um den florierenden Drogenhandel zwischen den USA und Mexico besonders visuell beeindruckend in Szene. Immer wieder griff der Regisseur bei den Dreharbeiten selbst zur dokumentarisch wirkenden Handkamera und setzt im Film mit krassen Farbwechseln starke Akzente. So etwa, wenn die in Mexico spielenden Sequenzen wie in einem alten B-Western im ausgewaschenen Gelb zu sehen sind.

Allerdings ging aller Liebe zum Bild wohl einige Aufmerksamkeit für die Geschichte verloren. Obwohl vier Handlungsfäden des Drehbuches durchaus interessant miteinander verknüpft sind, fehlt es an echten Spannungsmomenten. Alles wirkt ein bisschen vorhersehbar. Man darf gespannt sein, wie das zahlende Publikum reagiert, wenn „Traffic“ (mit Michael Douglas und dessen Ehefrau Catherine Zeta-Jones in den Hauptrollen) in die Kinos kommt. Mainstreamkino ist der knapp zweieinhalb Stunden lange Streifen auf keinen Fall.

In den nächsten Tagen dürfen sich die rund 3500 akkreditierten Journalisten und sicher ebenso vielen Dauergäste auf ein abwechslungsreiches Programm freuen. Einer der Schwerpunkte könnte heuer der asiatische Film sein: Gleich vier der 23 Wettbewerbsfilme kommen aus Japan und China. Eher bescheiden dagegen die Präsenz des deutschen Filmes: Gerade mal einer – der Low-Budget-Streifen „My sweet home“ des Filmhochschulabsolventen Filippos Tsitos geht als rein einheimische Produktion an den Start. Im oft nicht weniger interessanten Panorama-Rahmenprogramm ist sogar überhaupt kein deutscher Film zu sehen. Ein Armutszeugnis, auch wenn Festivalblamagen wie etwa im vergangenen Jahr „Fandango“ (der bis heute noch nicht in die Kinos kam) natürlich auch nicht gerade förderlich waren.

 

 




 

Internationale
Filmfestspiele
Berlin

 

7. - 18. Feb. 2001


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Delirium